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Barrierefrei durch Ittigen

Bei den meisten Bushaltestellen in Ittigen muss aktuell noch eine Rampe ausgeklappt werden. Hier die Haltestelle Brunnenhof.

Während den Nationalen Aktionstagen Behindertenrechte ist die Bantiger Post der Einladung einer Leserin gefolgt und hat die Rollstuhlgängerin auf verschiedenen öV-Routen durch Ittigen begleitet – von holprig bis autonom eine interessante Reise.

«Ich bin eine Spätberufene», sagt die 58-jährige Ittigerin Rosmarie Heiniger und deutet dabei auf ihren Rollstuhl. Vor gut 22 Jahren erhielt die ausgebildete Kauffrau und Finanzplanerin die Diagnose Multiple Sklerose und ist mittlerweile auf den Rollstuhl angewiesen. Je nach Strecke, die Rosmarie Heiniger bewältigen will, nutzt sie einen Handrollstuhl oder ein schnittiges Elektromobil, welches ihr ein Maximum an Mobilität sichert. Rosmarie Heiniger nimmt aktiv am Gesellschaftsleben teil und ist oft mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Dabei würde sie sich wünschen, dass das Behindertengleichstellungsgesetz endlich umgesetzt wird und sie ohne fremde Hilfe in die Fahrzeuge ein- und aussteigen kann. «Es geht um Autonomie», betont die engagierte Frau. Gerade während der Stosszeiten und bei Schlechtwetter sei es unan-genehm, wenn Fahrpersonal das Fahrzeug verlassen und von Hand eine Rampe ein- und ausklappen müsse. Sich im hektischen Pendlerverkehr gestressten Blicken auszusetzen und sich als Verkehrshindernis zu fühlen, sei nicht schön. Und: Eine Gehbehinderung könne jeden treffen.

Noch viel zu tun
Während ein barrierefreies und autonomes Reisen bei den Zügen vom Regionalverkehr Bern-Solothurn RBS gegeben ist, ist ein -eigenständiges Ein- und Aussteigen für Gehbehinderte auf den Buslinien des RBS in Ittigen nur eingeschränkt möglich. Auf Nachfrage bei den verschiedenen Akteur:innen zeigt sich, dass bereits ein gutes Stück Arbeit in die richtige Richtung geleistet wurde, dass jedoch noch einiges gemacht werden muss, um die geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen. Dies gilt nicht nur für die Gemeinde Ittigen, sondern für die meisten ans öV-Netz angebundenen Gemeinden.

Technisch komplex
Damit ein Ein- und Aussteigen ohne fremde Hilfe gelingt, ist der Niveauunterschied und die Lücke zwischen Fahrzeug und Perron oder Gehsteig zentral. Auf dem Ittiger Busnetz kommen bereits heute ausschliesslich Niederflurfahrzeuge zum Einsatz. Autonomes Reisen benötigt aber auch bautechnische Anpassungen der Haltestellen. Hier sind vor allem die Gemeinden und Kantone gefordert, da sie Eigentümerinnen der Haltestellen sind. Ideal sind laut dem RBS Haltestellen mit einem sogenannten «Sonderbord». 

Ein «Sonderbord» ist ein hoher Randstein, der pneuschonend ausgeformt ist, so dass Busse sehr dicht anfahren können. Solche hohen Haltekanten ermöglichen denn auch Fahrgästen mit Rollator oder Rollstuhl einen barrierefreien, eigenständigen Zugang, allerdings lassen sie sich aus geometrischen Gründen nicht überall realisieren. Deshalb werden bis auf Weiteres alle Busse des RBS eine Klapprampe haben, denn eine vollautomatische, effiziente und den Sicherheitsanforderungen entsprechende Lösung wie bei den RBS-Zügen gibt es für Busse offenbar bislang nicht. 

Problemknotenpunkt Kappelisacker
In Ittigen sind bereits einige Haltestellen wie der Rain und der neue Bahnhof autonom nutzbar. Mit Rosmarie Heiniger unterwegs fällt hingegen auf, dass ausgerechnet die Haltestelle Kappelisacker nicht eigenständig genutzt werden kann. Das überrascht, da der Kappelisacker als Verkehrsknotenpunkt verschiedene RBS-Linien verbindet und mit Einkaufsmöglichkeiten, dem ChäppuTräff und einer hohen Bevölkerungsdichte stark frequentiert wird. 

Während einer Pause zwischen den Fahrten begegnet die Bantiger Post im ChäppuTräff einer auf-
gestellte Kaffeerunde, die augenscheinlich mehrere Betroffene umfasst. Auf die spontane Frage, was in Ittigen für Gehbehinderte unbedingt verbessert werden müsste, werden gleich mehrfach die Haltestelle Kappelisacker aber auch die neuen Strassenübergänge beim Migros und beim Bahnhof genannt. Bei Letzteren bekommen Rollstuhlfahrende wegen der hohen Kanten beim Queren der Strasse jedes Mal Schläge versetzt und auch das Passieren mit dem Rollator wird als unangenehm empfunden.

Schrittweise Nachrüstung
Bei der Gemeinde Ittigen nachgefragt, betont Gemeindepräsident Marco Rupp, dass der Gemeinderat das Behindertengesetz (BehiG) sehr ernst nehme und sich in
enger Zusammenarbeit mit dem RBS bemühe, die Infrastrukturen schrittweise nachzurüsten und bei Neubauprojekten jeweils auch die Behindertenorganisation Procap beigezogen werde, damit die Bedürfnisse aller Behinderten abgedeckt werden. Infolge personeller Engpässe, die in Zwischenzeit behoben werden konnten, habe Ittigen bei einigen Massnahmen Verzug. Im Budget 2024 hat die Gemeinde für den Umbau von Bushaltestellen nach Behindertengesetz (BehiG) Fr. 165 000.00 eingestellt. Die Planungsarbeiten werden zurzeit ausgeführt und je nach Dauer des Bewilligungsverfahren starten die Bauarbeiten noch dieses Jahr. Dabei geniessen die beiden Bushaltestellen im Kappelisacker Priorität und sollen spätestens im 2025 fertiggestellt werden.

Abschlusstermin offen
Bis wann die Umrüstung aller Bushaltestellen in Ittigen abgeschlossen ist, kann die Gemeinde im Moment nicht sagen, da diverse Faktoren nicht von der Gemeinde beeinflusst werden können. Dazu gehören insbesondere das Baubewilligungsverfahren, das in die Zuständigkeit des Regierungsstatthalteramts fällt und Bauprojekte von Dritten, mit denen die Arbeiten koordiniert werden müssen. 

Anpassung der Anschlagskanten
Indes dürfte es die Betroffenen-Community in Ittigen und wohl auch junge Familien mit Kinderwagen freuen, zu hören, dass bei den holprigen Strassenübergängen beim Migros und Bahnhof Ittigen bald nachjustiert wird. Um auch den Bedürfnissen von sehbehinderten Personen gerecht zu werden, wurden dort sämt-liche Trottoirkanten mit einem Anschlag von 3 cm versehen. Bei den Fussgängerstreifen soll der vertikale Anschlag nun durch eine Abschrägung ersetzt werden, was die Querung mit Rollstuhl oder Gehhilfe angenehmer gestalten soll. Die Nachbesserung wurde bereits in Auftrag gegeben und wird diesen Sommer ausgeführt.

Corinne Fischer

Behindertengleichstellungsgesetz BehiGe – Zahlen und Fakten
Die Möglichkeit zur barrierefreien Bewegung ist eine der Grundvoraussetzungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das Behindertengleichstellungsgesetz hält fest, dass der öV in der Schweiz für Menschen mit Beeinträchtigung grundsätzlich autonom nutzbar sein muss. Als beeinträchtigt gelten dabei alle mit einer dauerhaften Einschränkung, also auch Betagte, die nicht mehr gut zu Fuss sind. In der Schweiz sind rund 5 Prozent der Menschen von einer Gehbehinderung betroffen, Tendenz steigend.  Das BehiGe trat am 1. Januar 2004 in Kraft. Die darin gesetzte Frist mit einer Dauer von 20 Jahren zur Umsetzung der zu treffenden Massnahmen im öV ist Ende 2023 abgelaufen. Während Ende 2023 rund 60% aller Bahnhöfe barrierefrei ausgestaltet waren, entsprechen bislang nur rund ein Drittel der Tram- und Bushaltestellen in der Schweiz den Vorgaben des BehiG. Bei einem Viertel ist die Verhältnismässigkeit für bauliche Massnahmen nicht gegeben. Damit bleibt nach wie vor ein recht hoher Prozentsatz an Bahnhöfen sowie Bus- und Tramhaltestellen, die seit 1. Januar 2024 nicht mehr gesetzeskonform sind und angepasst werden müssen.

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