Helvetia, wann hilfst du uns? Ein verzweifelter Angehöriger, dessen Schwester schwer an ME/CFS erkrankt ist, mit Transparent an einer Kundgebung auf dem Bundesplatz letzten Mai
Long Covid und ME/CFS kann jeden jederzeit treffen. Wird das eigene Leben oder dasjenige von Angehörigen zum Höllenritt, wäre es eminent wichtig, dass das System greift. Mit seiner Motion für eine Nationale Strategie zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit ME/CFS und Long Covid, die in der kommenden Herbstsession traktandiert ist, schenkt der Stettler Nationalrat Lorenz Hess neue Hoffnung.
Während der Pandemie standen Gesundheitsschutz und Forschung ganz oben auf der nationalen politischen Agenda. Nachdem ein Impfstoff entwickelt war, schien das Problem gelöst und man wechselte zurück zur Tagesordnung. Nur so einfach ist es leider nicht, denn mit jeder Corona-Welle erkranken immer wieder Menschen an Long Covid. Allein in der Schweiz geht man aktuell von 300’000 Menschen mit Long Covid aus, von welchen ein Teil die Kriterien für ME/CFS erfüllt.
ME/CFS ist keine seltene Krankheit
ME/CFS kann durch verschiedene Viruserkrankungen, unter anderem Covid, EBV oder Borreliose, ausgelöst werden. Heilbar ist die neuroimmunologische Krankheit bislang nicht. Bereits vor der Pandemie litten rund 30’000 Menschen in der Schweiz an ME/CFS, seit Covid hat sich die Anzahl verdoppelt. Von diesen mittlerweile 60’000 Menschen sind rund ein Viertel hausgebunden und bettlägerig, können teils einfachste Verrichtungen wie aufs WC gehen nicht mehr eigenständig bewältigen, liegen in abgedunkelten Zimmern, haben Schmerzen und können – wenn überhaupt – nur kurze Gespräche von ihrem Bett aus führen. Weitere 35% gelten als moderat betroffen. Sie sind arbeitsunfähig, meist ans Haus gebunden, können sich aber noch für eine begrenzte Zeit aufrecht halten und kurze Strecken zurücklegen. Die übrigen, sogenannt mild Erkrankten, können noch einer Arbeit oder Teilzeitarbeit nachgehen, sind jedoch ebenfalls erheblich beeinträchtigt.
In der Schweiz geht man aktuell von 300’000 Menschen mit Long Covid aus.
Wenn der Akku zu schnell leer wird
Typisch für ME/CFS und eben auch für einen Teil von an Long Covid Erkrankten ist die Symptomverschlechterung bei Überanstrengung. Wird die eigene Belastungsgrenze überschritten, also der persönliche, durch die Krankheit reduzierte Akku zu stark entladen, droht ein Crash, der eine temporäre oder anhaltende Verschlechterung der Symptome bewirkt. Entsprechend ist es wichtig, dass Betroffene so schnell wie möglich den Umgang mit ihren aktuellen Ressourcen lernen und konsequentes Pacing anwenden. Damit gelingt es in vielen Fällen, den Zustand zu stabilisieren und – wenn auch sehr sachte – wieder zu verbessern. Dabei gilt es zu beachten, dass nicht nur körperliche Aktivitäten Energie benötigen, sondern ebenso Gehirnleistungen wie Denken, Arbeiten und emotionales Erleben.
Im Umgang mit Betroffenen ist es wichtig, die reduziertne Energiegrenzen des Gegenübers zu respektieren. Wer Menschen mit Long Covid und ME/CFS unter Druck setzt, sei es von Seiten Arbeitgeber, Schule oder im privaten Umfeld, handelt nicht nur empathielos, sondern fahrlässig.
Es fehlt an allen Ecken und Enden
In vielen Ländern wurden und werden nationale Kompetenzzentren geschaffen und Medikamente, die für die Bekämpfung anderer Krankheiten zugelassen sind und auch bei ME/CFS vielversprechende Resultate zeigen, als Off Label Medikamente offiziell und kassenpflichtig verwendet. Studien werden finanziert, Mediziner geschult und Betroffene finanziell unterstützt. In all diesen Punkten hinkt die Schweiz hinterher. Wer hierzulande an Long Covid und ME/CFS erkrankt, hat Glück, wenn er an einen Arzt gerät, der über grundlegendes, geschweige denn vertieftes Wissen über die Krankheit und den aktuellsten Wissensstand verfügt. Eine IV-Rente erhalten nur wenige zugesprochen. Entsprechend haben Erkrankte und ihre Familien oft nicht nur mit der gesundheitlichen Situation, sondern auch mit Existenzängsten zu ringen. Und auch die Investition in die Forschung hat noch massiv Luft nach oben.
Motion gibt Hoffnung
Mit seiner Motion für eine Nationale Strategie zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit ME/CFS und Long Covid, die von allen Fraktionen mitunterzeichnet wurde, hat Nationalrat Lorenz Hess Bewegung in die Sache gebracht. Werden beide Kammern der Motion zustimmen, besteht Hoffnung, dass die Krankheit, die nebst enormem Leid auch einen wirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe nach sich zieht, in der Schweiz endlich die Priorität erhält, die sie verdient.
Corinne Fischer
ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis /Chronisches Fatigue Syndrom)
Die neuroimmunologische, bislang unheilbare Erkrankung wird meist durch eine Virusinfektion ausgelöst. Betroffene leiden an einer Belastungs-Intoleranz mit Symptomen wie Muskelschwäche, grippeartiger Erschöpfung, Konzentrationsproblemen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Herz-Kreislaufstörungen, starker Müdigkeit, Schmerzen und mehr.
Infobox
Nützliche Adressen für Betroffene und Angehörige im Umgang mit Long Covid und ME/CFS: altea-network.com, mecfs.ch, long-covid-info.ch